In der Evolutionstheorie folgt auf eine lange Phase kleiner Schritte ein großer Sprung. Meist ausgelöst durch massive äußere Einflüsse. Zumindest als Theorie. Beim Motorradmotor scheint sich die Technik in vergleichbarer Weise zu entwickeln. Und in den vergangenen Jahren gab es einige Sprünge und Innovationen.
Die großen Sprünge der letzten 50 Jahre
Die Geschichte des Verbrenners im Motorrad folgt einem Muster: Was im Auto funktioniert, muss im Motorrad skaliert funktionieren. Entsprechend ist die Geschichte des Motors im Motorrad von Sprüngen durchzogen. Die weitesten Sprünge dürften die zum Vierzylinder sein, später zur 4-Ventil-Technik, sowie zur Einspritzung. Das war ab Mitte der 1990er-Jahre für eine lange Zeit die letzte große Neuerung, die in Kombination mit neuen Materialien und Fertigungsmethoden maximal ausgeformt wurde. Zwar schritt die Technik jahrelang voran, aber in kleinen Schritten: Doppelzündung, immer höhere Verdichtungen und Drehzahlen waren die Maßnahmen, um mehr Leistung zu erzeugen.
Doch rein mechanisch kamen selbst die besten Motorradmotoren an Grenzen: Hohe Verdichtung und niedrige Emissionswerte stehen so konträr wie Drehzahl und Kosten.
Motorräder mit Turbo schon lange gefloppt
Lösten neue Turbo-Systeme im Automotor einige der Probleme, ist das Thema Aufladung im Motorradmotor ein schwieriges. Bereits Ende der 1970er-Jahre versuchten alle großen japanischen Hersteller, ein Turbo-System zu entwickeln. Die zwar starken Motorräder waren allerdings fast unfahrbar hektisch und absurd durstig.
Neue Techniken nicht immer erfolgreich
In den ersten Jahren des neuen Jahrtausends versuchte Honda mit der im Grunde aus dem Automotor übernommenen VTec-Ventilsteuerung, das Thema variable Ventilsteuerung in Serie zu etablieren. So gut das System mechanisch arbeitete, so ungenügend der Fahrkomfort des V4-Motors. Doch die Zeit der variablen Ventilsteuerungen sollte erst noch kommen.
Motorradmotoren der Zukunft
Der Blick auf die Innovationen im Motorrad der letzten Jahre zeigt ein klares Bild: Zwar stammt die Technik aus dem Automotor, doch wurde die nicht "stumpf" übernommen, sondern sehr klar für den Einsatz im Motorradantrieb angepasst. Das Turbo-Desaster und die VTec-Pleite waren gute Lehrer. Entsprechend tat sich fast 10 Jahre kaum etwas, bis um 2015 herum.
Variable Ventilsteuerungen von Suzuki, BMW und KTM
Suzuki holte das Thema einer variablen Ventilsteuerung in der GSX-R 1000 L7 ab 2017 wieder ins Spiel. Über ein einfaches Fliehkraftsystem verändert die Gixxer die Stellung der Einlassnockenwelle zur Auslassnockenwelle. Mit bestechendem Erfolg, denn selbst heute noch steht dieser Motor mit 203 PS und 118 Nm auf Platz 1 der besten je von MOTORRAD getesteten Motoren.
BMW brachte 2018 ein System zum variablen Steuern des Gaswechsels. Shift-Cam genannt und mit verschiebbaren Nockenwellen, erlaubt das System nicht nur das Ändern der Steuerzeiten, sondern auch der Ventilhübe. Lohn der Mühe: Der Reihenvierzylinder und Boxer mit diesen Systemen gehören zu den Besten ihrer jeweiligen Klasse.
KTM übernimmt das Grundprinzip des Shift-Cam von BMW, dreht die Begriffe um und setzt das Cam-Shift im aktuellen 1390er-Motor ein und erzeugt so 145 Nm und 190 PS.
Leider nur für Leistung genutzt
Leider setzt derzeit kein Hersteller eine variable Ventilsteuerung ein, um die Effizienz zu steigern, sondern primär, um PS und Nm so hoch wie möglich zu schrauben. Theoretisch könnten diese Systeme zur weiteren Effizienzsteigerung dienen, doch hier stehen Aufwand und Effekt wohl noch im Zielkonflikt, der einen 500er-Twin mit 48 PS und einen Verbrauch von 3,0 Liter vorerst ausschließt.
Verbrenner mit E-Boost
Das Thema des vollelektrischen Motorrads ist enttäuschenderweise keines. Deutlich klarer eine Art des hybriden Antriebs. Kawasaki hat einen mild-hybriden Antrieb in Serie und ergänzt einen kleinen Zweizylinder mit einem Elektromotor, der auf das Getriebe wirkt und damit sogar kurze Strecken rein elektrisch erlaubt. In Summe ist der Twin mit 451 Kubik so stark wie ein reiner Verbrenner mit 700 Kubik.
Einziger Hersteller von Weltformat mit einem echten Elektromotorrad in Serie ist Honda. Doch die WN7 ist eher was für Pendler. Das E-Turbo-Konzept um einen neuen V3-Motor herum, adressiert die Elektrifizierung auf eine andere Art. Zwar kann der V3 nicht nur mit der Druckluft fahren, doch könnte das System neben hohen Drehmomenten auch wenig Verbrauch bedeuten. Und den V3 selbst sehen wir gleich noch einmal.
Hochinteressant ist der Ansatz von Benda. Das Konzept P51 mit neuem Hybrid-Boxer sorgte Ende 2025 für einiges Aufsehen. Aus nur 250 Kubik sollen bis zu 100 Nm Drehmoment und knapp 63 PS kommen und mit einem kleinen Akku soll sogar ein paar Kilometer rein elektrisch gefahren werden können.
Neue und alte Motorbauweisen
Ebenfalls mit Innovationen und Rückbesinnung zeigen einige Hersteller neue oder wiederentdeckte Bauformen von Motoren, die im Grunde versuchen, möglichst viele Zylinder auf wenig Bauraum zu verteilen. Darunter der V3 von Honda.
Er hatte seine Bühne zwar schon beim Thema E-Boost, doch als Bauform ist der V3 hochinteressant. Bereits in den 1980ern wollte Honda seine Vorteile nutzen und einen Triple so schmal wie einen Twin bauen. Der angekündigte V3 soll in der Größe um 900 Kubik kommen und wohl wirklich den elektrischen Kompressor tragen. Wobei es der Aufladung im Grunde egal ist, ob er einen V3 mit Staudruck versorgt.
Interessant wird im Kontext der elektrischen Aufladung noch das Bordnetz, denn mit 12 Volt läuft der Kompressor nicht sehr stark. Und als V-Motor mit 2 Zylinderköpfen löst Honda kein Problem, sondern schränkt sich selbst ein im Gestalten des Bauraums um den Motor herum. Hier hat MV Agusta eine interessante Idee in die Entwicklung geführt.
VR5 oder Square5? Welche Bauweise MV Agusta im Konzept des 5-Zylinders wirklich plant, ist nicht vollkommen klar. Die 5 Zylinder sind in VR-Bauweise in einem Zylinderdeck und unter einem Zylinderkopf angeordnet. Doch MV selbst spricht von 2 Kurbelwellen. Vorteil der VR-Anordnung: Der Motor selbst ist nur so breit wie ein Triple. Allerdings baut er deutlich tiefer, allerdings beansprucht er weniger Bauraum als ein V5 gleichen Hubraums. Und MV Agusta adressiert mit dem Anordnen der Auslasskanäle eine Herausforderung bekannter VR-Konzepte, muss dazu allerdings die Einspritzung direkt über den Motor stellen, was Bauhöhe verursacht.
Je nach Konfiguration der beiden Kurbelwellen kann MV den Massenausgleich perfektionieren und auf Ausgleichswellen verzichten. Ob das die Nachteile der zusätzlichen Reibung der zweiten Kurbelwelle in den Lagern und des zusätzlichen Primärantriebs aufwiegt, muss MV zu einem anderen Zeitpunkt beweisen. Immerhin: Mit den beiden Kurbelwellen muss MV nicht mit Zylinderwinkel und Schränkung der Kurbelwelle experimentieren.
Bessere Automatik im Motorrad
Während im Auto ein automatisches Getriebe zum Erfüllen strenger Abgaswerte heute fast obligatorisch ist, war es im Motorrad weder nötig noch brachte es Vorteile. Einzig das DCT von Honda setzte sich durch, wobei es klar den Komfort adressierte und daher nur in Modellen verbaut war, denen 10 Kilo mehr keinen Nachteil brachten. Doch seit 2023 sind neue Typen der Automatik im Motorrad auf dem Vormarsch.
Die Innovation dahinter ist der Vorteil, den sequenziellen Schaltvorgang im Motorrad mit vergleichsweise einfachen Mitteln zu automatisieren. BMW, Yamaha und KTM sind in den letzten Monaten mit entsprechenden Systemen in Serie gekommen. Yamaha mit dem Y-AMT sogar gleich in 2 Antrieben und sogar in der Mittelklasse. BMW und KTM adressierten zunächst die Top-Linie der Modelle.
Allen Systemen gemein: Von der Elektronik gesteuerte Aktuatoren bestätigen die weiterhin vorhandene konventionelle Kupplung und drehen die Schaltwalze zum Einlegen der Gänge. Kleiner Einspruch: KTM baut ihr AMT mit einer Fliehkraftkupplung auf, sprich: Hier greifen weder Hand noch Byte auf die Kupplung zu.
Honda hat mit dem DCT den Bestseller im Programm, reicht erste Schritte zur einfacheren Automatik ebenfalls in die Mittelklasse herunter. Allerdings mit der E-Clutch als Teilsystem zum Steuern der Kupplung, geschaltet wird das Getriebe weiterhin manuell.












