Neuer BMW-Motorrad-Chef Markus Flasch: Exklusiv-Interview

Exklusiv-Interview: BMW-Motorrad-Chef Markus Flasch
„Nachfrage für echtes E-Motorrad schlicht nicht da“

Veröffentlicht am 14.03.2024
Dein Vorgänger erteilte den Motorradmessen eine Abfuhr und überließ die Entscheidung über eine Teilnahme an der EICMA oder der INTERMOT dann den nationalen Märkten. Bleibt es dabei oder wird es künftig die BMW-Modellpalette wieder für Messebesucher zum Anfassen geben?

Ich glaube ganz stark an soziale Medien, wir sind da sehr gut unterwegs. Ich bin aber auch der Meinung, wenn es konkreter wird, muss man Produkte anfassen, genau ansehen und sich auch draufsetzen können. Ich war deshalb auf meiner ersten Dienstreise als BMW Motorrad-Chef zur EICMA sehr irritiert, dass unser neues Flaggschiff, die R 1300 GS, überall bei Partnern und Zubehörherstellern gestanden ist, nur nicht bei uns – denn BMW war nicht da. Daher traf ich sofort die Entscheidung, dass das nicht angemessen ist. Wir bleiben bei der Strategie, dass wir keinen rein zentral organisierten Messeauftritt mehr haben werden, sondern der Markt, also unsere Länderorganisation, in deren Markt die Messe stattfindet, den BMW Motorrad-Auftritt ausrichtet. Wir werden außerdem nicht zwangsläufig Weltpremieren auf solchen Messen abhalten. Das funktioniert auf unseren Kommunikationsplattformen viel effektiver, und wir stehen dann auch nicht in der Aufmerksamkeitskonkurrenz mit den Mitbewerbern. Aber dass wir unser Produktportfolio auf Messen zeigen und den Leuten unsere Motorräder für alle Sinneseindrücke hinstellen, haben wir beschlossen. Wir werden also auf den wichtigen Messen wieder dabei sein. 2024 auch bei der EICMA in Mailand.

Im deutschen Markt wird unter den Entscheidern in der Motorradindustrie heftig über die neu geplante INTERMOT Anfang Dezember in Köln diskutiert. Hat BMW schon eine Entscheidung getroffen?

Auch da wird BMW Motorrad dabei sein.

Dr. Schramm hat sich als BMW-Chef aber auch mit einem Absatzrekord in den Ruhestand verabschiedet. Was muss man sich als Nachfolger also vornehmen?

Zunächst ist es in unserem Geschäft so, wenn man wie bei BMW üblich alle drei bis vier Jahre die Führungsspitze wechselt, dass man die Lorbeeren des Vorgängers kassiert und etwas auf die Reise schickt, von dem hoffentlich der Nachfolger profitiert. Also denke ich gar nicht in der Ära so und so und in der Ära Flasch. Darauf kommt es nicht an, und mir geht es auch nicht darum, etwas zu verändern nur um des Veränderns willen. Was mich und das Team antreibt, ist, die Marke und die Produkte noch besser und damit das Erlebnis für die BMW-Kunden noch attraktiver zu machen, um so unsere Community weiter auszubauen.

Dann reden wir doch gleich mal über die Zukunft und damit BMW-Antriebe. Es gab die Ansage von BMW Motorrad, dass künftig alle 18 bis 24 Monate ein E-Fahrzeug kommt. Der CE 02 vor wenigen Wochen war deine erste Weltpremiere als Chef. Wann also kommt das nächste E-Motorrad – und ist das dann ein echtes E-Motorrad?

Das ist eine spannende Frage, und meine Antwort wäre vor ein bis zwei Jahren ganz anders ausgefallen. Was wir nämlich momentan feststellen, ist ein Abflachen der E-Motorrad-Kurve, und das hat direkten Einfluss darauf, welche Zweiräder wir im E-Fahrzeug-Bereich und mit welchem Anteil am Gesamtvolumen planen. Diese Planung richtet sich nach dem Markt, wir machen Fahrzeuge für Kunden. Das Abflachen der Nachfrage nach E-Zweirädern hat zwei Gründe. Zum einen gibt es nichts Regulatorisches wie bei den Pkw, also keine Flottenvorgaben. Teilweise Einfahrbeschränkungen in gewissen Städten, aber auch das betrifft Motorräder nicht in dem Ausmaß wie Autos. Zum anderen liegen die Gründe, die das Umstellen von Motorrädern auf E-Motoren erschweren, auf der Produktseite. Nur ein Beispiel: Das Batteriegewicht ist im Motorrad ein viel komplizierteres Thema als im Auto. Auch die Tatsache, dass unser CE 04-E-Roller einen Marktanteil von knapp 77 Prozent am Gesamtmarkt E-Motorräder über 11 kW hat, also nicht nur bei den Rollern, und damit alle anderen E-Motorrad-Anbieter sich 23 Prozent teilen müssen, ließ uns zu dem Schluss kommen, dass es keinen Sinn macht, jetzt oder in den nächsten zwei Jahren ein echtes E-Motorrad zu bringen. Die Nachfrage ist schlicht nicht da. Unsere Elektrostrategie ist also zunächst urban zu sehen. In die Stadt und um die Stadt herumzufahren, ist für E-Bikes hochattraktiv. Aber keine marktrelevante Zahl an Leuten wird sich in den nächsten Jahren ein E-Motorrad kaufen wollen, um damit auf den Pass oder um den See zu fahren – und schon gar nicht ans Nordkap.

Damit wird das schon gezeigte und einmal für 2025 in Serie angekündigte E-Roadster-Motorrad von BMW nicht kommen?

Das wird auch 2026 nicht kommen.

Dagegen ist BMW in Sachen Elektronik extrem zukunftsorientiert. Wir kennen als Beispiel schon die Brille mit Head-up-Display. Auch beim vernetzten Fahren unterschiedlicher Fahrzeuge untereinander wird viel entwickelt. Was können wir im Motorradbereich in nächster Zeit erwarten?

Die schon erwähnte Brille, die Informationen wie Geschwindigkeit oder Navi einblendet, und auch die Connected-Ride-Jacke für Motorradfahrer gibt es bereits. Dieses Technologie-integrierte Thema ist etwas, das ich stark fördere, weil das auch nicht jeder Hersteller, jeder Wettbewerber kann. Damit meine ich nicht nur Motorrad-exklusive Themen, sondern die immense Kompetenz, die die BMW Group in Sachen Gesamtfahrzeugentwicklung aufbieten kann. Beispielsweise hatten wir ja schon einmal ein Produkt, mit dem man sich auf zwei Rädern wind- und wettergeschützt ohne Helm bewegen konnte. Das ist etwas, wo uns kaum einer folgen kann. Das konsequent weitergedacht, auch in Sachen E-Antrieb und urban, kann ich mir durchaus vorstellen und so neue Trends zu setzen und gleichzeitig an alte Trends anzuknüpfen.

Beim Stichwort "vernetztes Fahren" haben viele Motorradfahrer die Furcht, von der Elektronik noch mehr bevormundet und der speziellen Freiheit auf dem Motorrad beraubt zu werden. Eine berechtigte Sorge?

Da habe ich keine Sorge, im Gegenteil. Wir entwickeln unsere elektronischen Systeme mit dem Ziel, Motorradfahren sicherer zu machen und gleichzeitig den Spaß zu erhöhen. Der Nutzen für den Kunden steht im Vordergrund. Bevormundung? Auf die Idee bin ich noch gar nicht gekommen. Übrigens geht der Erfolg der S 1000 RR nicht zuletzt auf diese Kompetenz bei der Elektronik zurück, die diese Leistung in einem Fahrzeug für einen normalen Menschen überhaupt noch beherrschbar macht. Das ist etwas, wofür die Doppel-R steht: mehr als 200 PS in einem Superbike so zu bewegen, als sei man selbst ein Superheld, und dabei gar nicht wirklich mitzubekommen, wie viel das Motorrad für einen erledigt.

Bevormundung droht aber von rechtlicher Seite. Über E-Antriebe haben wir zwar schon gesprochen, aber das Verbrenner-Aus, auch wenn es auf EU-Ebene nur für Pkw ab 2035 real wird, schwebt wie ein Damokles-Schwert auch über Motorrädern. E-Fuels, darüber hat MOTORRAD schon berichtet, ist für BMW ein ganz wichtiges Zukunftsthema. Kawasaki hat jetzt ein Wasserstoff-Motorrad als Prototyp vorgestellt, das Wasserstoff verbrennt. Wie sieht die Verbrenner-Zukunft bei BMW aus?

Auch wenn es bisher keine Gesetze gibt, die die CO2-Emissionen von Motorradflotten regeln, arbeiten wir natürlich daran, unseren CO2-Ausstoß zu verringern. BMW-Motorräder gelten gerade im Vergleich zum Wettbewerb als sparsam. Beim Verbrenner hat die Entwicklung nicht aufgehört, und unsere Antriebe werden auch weiterhin die effizientesten sein. Über E-Mobilität haben wir schon gesprochen, deren Zukunft sehe ich zunächst im urbanen Bereich. Zu E-Fuels und Wasserstoff habe ich eine pragmatische Einstellung. Bei E-Fuels sind wir technologisch als Hersteller nicht groß gefordert. Wir werden sicherstellen, dass unsere Motoren mit E-Fuels perfekt funktionieren – Punkt. E-Fuels wären eine Erlösung für die bestehende Fahrzeugflotte. Wasserstoff hingegen sehe ich im Motorradbereich kritisch, weil die volumetrische Energiedichte von Wasserstoff noch schlechter ist als die einer Batterie und damit das Thema Reichweite ein noch größeres sein könnte.

Ungemach droht dem Motorrad nicht nur in Sachen Schadstoffausstoß. Viele Kommunen und Landkreise machen mobil gegen Motorradlärm. MOTORRAD hat dazu auch Messungen angestellt, einige Modelle sind über die Jahre tatsächlich lauter geworden, dazu gehörte auch die GS. Dazu kommen die oft monierten Klappensteuerungen gerade bei leistungsstarken Motorrädern. Wie reagiert BMW Motorrad auf diese Problematik?

Mir ist ganz wichtig zu betonen, dass wir uns immer an geltendes Recht halten. Das ist das oberste Credo in allem, was wir entwickeln. Ich kann sehr stark nachvollziehen, dass Anrainer sich vom Lärm belästigt fühlen. Deshalb ist es auch in unserem Interesse, Motorräder hier verträglich zu machen. Wir wollen dem Fahrer ein emotionales Erlebnis bescheren, da geht es nicht um Lautstärke, sondern um Klangfarbe, Charakter und das, was einem das Motorrad an Feedback gibt. Die angesprochene Klappensteuerung machen wir nicht, um an einer Stelle leise und an anderer laut zu sein, sondern da geht es um Motorcharakteristik und Ansprechverhalten, das ist ein integraler Teil des gesamten Gaswechsels. Aber um konkret auf die Frage zu antworten: Uns geht es darum, den Klang so attraktiv wie möglich für den Kunden zu machen und so verträglich wie möglich für die Umwelt.

Die Gesetzgebung wird restriktiver, der Verbrenner ist mechanisch sehr aufwendig, da geht es bei der Geräuschemission nicht nur um den Auspuff. Sind technische Schritte absehbar, um dem Problem zu begegnen?

Wohin sich die Gesetzgebung entwickelt, kann ich über einen gewissen Zeitrahmen hinaus natürlich nicht sagen. Aber auf der anderen Seite schätzen wir Wettbewerb. Das ist ein bisschen wie im Motorsport: Wenn sich die Regeln ändern, sind sie für alle gleich, dann streckt man sich nach der Decke, und so entstehen auch Sieger und Verlierer. Das sehen wir also schon auch sportlich. Über die Interessenvertretung unserer Industrie, den ACEM, und andere Institutionen achten wir natürlich darauf, dass diese Regeln in einem Rahmen entwickelt werden, die die Industrie und alle, die damit verbunden sind, überleben lassen.

An der Stelle können wir auch an die Motorradfahrer appellieren, dass sie verantwortungsvoll mit den Maschinen umgehen.

Das ist ein ganz wichtiger Aspekt, bewegt sich aber außerhalb meines Einflussbereichs. Es liegt viel am Fahrer, wie er durch die Ortschaften fährt und was er an seinem Motorrad schraubt.

Unter den Motorradfahrern, zumindest der BMW-Community, heiß diskutiert ist das jährliche BMW-Treffen. Da freuen wir uns nach zwei Jahren in diesem Sommer auf ein Wiedersehen in Garmisch. Wie kam es dazu, Berlin wieder gegen Garmisch zu tauschen?

Ich kenne Garmisch zwar sehr gut, ich wohne in Salzburg, aber bei dem BMW-Treffen in Garmisch war ich noch nie. Sofort, als ich Chef bei BMW Motorrad wurde, haben mir aber viele Leute als erstes Thema nahegelegt, die Location für die BMW Days schleunigst zu überdenken. Da dachte ich schon, oha, das ist ja ganz vielen sehr wichtig. Dann habe ich mir erklären lassen, warum man überhaupt nach Berlin gegangen ist. Der Gedanke, den 100. Geburtstag von BMW Motorrad in der Stadt zu feiern, wo die Motorräder gebaut werden, leuchtete mir auch ein. Ob man dazu die BMW Days verlagern musste und ob nicht einfach eine zweite Veranstaltung im letzten Jahr Sinn gemacht hätte, sei mal dahingestellt. Aber 2024 ist das Jahr der GS, das passt einfach nicht zu einer Großstadt. Ergo habe ich unsere Leute nach Garmisch-Partenkirchen geschickt, damit die vor Ort mal mit den Verantwortlichen reden, ob die nicht Lust hätten, das wieder aufleben zu lassen. Man wurde sich schnell einig, und die Reaktionen sagen mir, dass wir damit genau richtig liegen. Ich freue mich also auf meine ersten BMW Motorrad Days in Garmisch.

Wo wir gerade von gravierenden Veränderungen sprechen: Edgar Heinrich hat das Design der BMW-Motorräder gerade bei den neuesten Modellen stark geprägt. Jetzt ist der Chefdesigner in den Ruhestand gegangen. Wird sich dadurch auch die Designsprache wieder verändern?

Edgar Heinrich hat ein tolles Team angeführt, das stimmige Designs entwickelt hat. Sein Nachfolger Alexander Buckan hat schon seit Jahren gemeinsam mit Edgar das Design von BMW Motorrad geprägt, sodass man da gar nichts befürchten muss. Was wir sicher fortsetzen werden, ist eine der großen Stärken von BMW Motorrad, nämlich die Vielfalt. Es gibt in meinen Augen keinen zweiten Hersteller, der ein so breites Angebot hat an Segmenten, aber auch Designs, und das unter einer Marke glaubwürdig bringen kann. Wir glauben an diese Vielfalt und auch die Vielfalt in der Designsprache. Da habe ich keinen Zweifel, dass Alexander Buckan das als Nachfolger erfolgreich weiterführen wird.

Schauen wir uns die neue F 900 GS und auch R 1300 GS an, sind die Motorräder schon optisch sportlicher geworden, wirken leichter, sind symmetrischer. Fürchtet BMW nicht, dass das gerade langjährige GS-Fans abschrecken könnte?

Nein, gar nicht. Keiner hat doch Probleme mit einem leichteren Motorrad. Was bei einem Motorrad entscheidend zur Attraktivität beiträgt, ist sein Gewicht. Die F 900 GS ist ein perfektes Beispiel, sie hat 14 Kilo abgespeckt, das ist eine Welt. Und dadurch sieht das Motorrad auch schon anders aus. Sportlich und drahtig sein ist ein Attribut, das niemandem schadet – ob das Produkte oder Menschen sind (lacht). Ja, unsere Modelle werden sportlicher, das heißt aber nicht, dass man damit Kunden ausschließt. Wir können Vielseitigkeit und Alltagsnutzen überall integrieren. Die sportliche Grundhaltung in der Basis wird man weiter sehen, und das passt sehr gut zu BMW Motorrad.

Zumindest sprechen die ersten Verkaufszahlen der neuen GS nicht dagegen.

Absolut. Wenn man unsere Auftragseingänge ansieht, dann hatten wir 8.000 Bestellungen für ein Motorrad, das zu dem Zeitpunkt noch niemand gefahren ist. Die Leute wissen, wenn BMW eine neue GS bringt, dann legen wir die Latte entsprechend höher, und es wird ein herausragendes Produkt. Das nennt man Markenstärke, und darauf sind wir sehr stolz. Besonders auf die GS, das ist unsere Ikone, mit ihr sind wir zu einem ganz großen Player geworden. Das hegen und pflegen wir entsprechend. Und es ist etwas, wo man uns immer wieder kopiert, aber eben nie erreicht.

Bis zum aktuellen Modell gab es schon eine gewisse optische Kontinuität, die mindestens von der 1200er über die gesamte 1250er-Baureihe reichte. Wie nervös ist man, wenn das nächste Modelle der "Ikone" dann ganz anders rüberkommt?

Gar nicht, weil die sichtbaren Veränderungen keinen dekorativen Charakter haben oder einer Mode folgen. Was wir am neuen Modell als große Veränderung wahrnehmen, hat funktionale Gründe. Ob es die Ergonomie ist, die Tanklinie, damit man sich auf dem Motorrad besser bewegen kann, es ums Gewicht geht, wie beim Heck, wo wir statt des Rohrrahmens zum leichteren Gussteil gewechselt sind – diese Dinge sind alle funktional begründet.

Die neue GS läuft also. Das gilt für andere Baugruppen nicht unbedingt. Vielfältigkeit im Portfolio war schon Thema, wie geht es denn beispielsweise mit der K 1600 weiter?

Der Sechszylinder ist bei uns sehr speziell. Das ist einer der charakterstärksten Motoren, die je für ein Motorrad entwickelt wurden, und die K-Modelle haben eine sehr starke Fanbase. Viele Leute kaufen sich eine 1600er nach der anderen, und wir haben 2023 weltweit rund 6.000 Einheiten verkauft, von einem Motorrad, das in seiner Grundkonstruktion rund zehn Jahre alt ist. Für mich ist das ein Zeichen der Stärke, und ich sehe keinen Grund, ein Motorrad aus dem Portfolio zu nehmen, das so nachgefragt ist. Klar ist das verglichen mit der GS eine überschaubare Zahl, da liegt der Verkaufsfaktor zehn dazwischen. Aber wir haben sie, sie ist bestens in Schuss, und wir investieren, was wir müssen, um sie attraktiv zu halten. Damit bleibt sie, solange unsere Kunden eine K kaufen.

Sechs Zylinder sind ein Pfund. BMW wird sportlicher. Kann man sich eine K vielleicht sogar als M-Modell vorstellen?

Grundsätzlich kann man sich das M mit mehreren Motorvarianten vorstellen. Auch bei der BMW M GmbH haben wir uns nie auf ein Motorenformat festgelegt. Bei der 1600er fehlt mir dafür aber die Fantasie, weil das Fahrzeug auf Komfort ausgerichtet ist und die Grundsportlichkeit nicht in den Genen steckt. Das sehe ich als Voraussetzung, um ein M-Modell draufzusetzen. Unsere Vierzylindermodelle haben alle diese Grundsportlichkeit, die dieses Potenzial bietet. Also zur Frage, die ich eigentlich herausgehört habe: Wird es M-Modelle nur bei den Vierzylindern geben? Nein! Ich kann mir vorstellen, dass wir auch in anderen Segmenten, mit anderen Motorenkonzepten M-Modelle bringen, mit dieser sportlichen Überhöhung von Serienfahrzeugen, die schon einen sportlichen Grundcharakter haben, was gut zu BMW passt. Das gilt auch für eine GS.

Ein Verkaufsargument mehr? Wenn wir die Zahlen der M 1000 R gegenüber der Basis S 1000 R anschauen …

Die M-Version ist dominant. Es hat uns auch überrascht, dass wir mehr M 1000 R verkaufen als S 1000 R.

Bei der M GS sind wir gespannt, wie das aussehen könnte. Es wird über einen noch größeren Motor gemunkelt, noch mehr Leistung. Was macht denn eine M GS aus?

Das ist garantiert spannend. Wir sind gerade dabei, das auszugestalten, und ich bringe mich hier selbst sehr stark ein. Wenn man ein bisschen zurückschaut, wofür die GS steht, findet man sehr viel Rennsport abseits der Straße. Deshalb ist für mich klar, wie sich eine mögliche M GS gestalten wird.

Es geht also mehr Richtung Rallye als die große Tour?

Davon darfst du ausgehen.

Zurück zum heutigen Portfolio: Kritisch ist sicher der ganz große Boxer R 18 zu sehen. Gestartet mit großen Hoffnungen, gerade im riesigen US-Cruiser-Markt Indian, aber vor allem Harley-Davidson Wasser abzugraben, bleibt er dennoch hinter den Erwartungen zurück. Läuft die R 18 in ihren vielen Varianten deshalb bald aus?

Ich habe sehr großen Respekt vor der Entscheidung, die lange vor mir und Markus Schramm getroffen wurde, noch einmal so einen großen luftgekühlten Boxer aufzulegen. Das war ein sehr mutiger Schritt. Was man daraus gemacht hat, war ein Motorrad, um damit Kunden einer anderen Marke einzufangen. Da sind wir durchaus selbstkritisch. Man könnte auch lethargisch werden oder es zerreden. Aber wir sind nicht unzufrieden mit den Verkaufszahlen der R 18, sie ist ein gutes Motorrad und sieht scharf aus. Was sie aber auf den ersten Blick meiner Ansicht nach nicht ist: Sie ist keine typische BMW. Nach dem Motto "Stärken stärken" werden wir in Kürze etwas präsentieren, wo wir den Versuch machen, diesen Motor, die typischste Insignie, die BMW hat, nämlich diesen großen Boxer, in ein BMW-typischeres Motorrad einzubauen. Wir zeigen dazu ein Concept Bike auf der Plattform Concorso d’Eleganza in der Villa d’Este am Comer See. Das wird für uns der Testlauf, ob man aus dem Motor nicht noch etwas völlig anderes machen könnte. Dabei meine ich nicht, etwas anderes abzuschaffen, sondern als Ergänzung.

Etwas Typischeres als eine GS kann man sich bei BMW gar nicht vorstellen. Aber mit diesem riesigen Boxer doch schwer vorstellbar.

Da braucht man schon etwas mehr Fantasie, mehr will ich gar nicht sagen. Aber wenn man sich anschaut, was rund um luftgekühlte Boxer in der Custom-Szene passiert, entdeckt man schon ganz BMW-typische Ergonomien und Insignien, ob das Sattelform oder Tanks sind usw., wo man schon aus einigen 100 Metern erkennt, dass es eine BMW, aber keine GS ist. In die Richtung denken wir.

Passt perfekt zum nächsten Thema, der R 12 nineT. Als es die noch ohne Zusatz 12 gab, kamen einige Modellvarianten bis hin zur 80 G/S-Replika. Wird es zu den zwei aktuellen Retro-Boxern weitere Varianten geben?

Damit könnt ihr fix rechnen. Die R nineT ist übrigens eine extrem erfolgreiche Geschichte von BMW Motorrad. Die nineT ist mit der Frage entstanden, ob man mit dem eigentlich modell-zyklisch ausgelaufenen luftgekühlten Boxer nicht doch noch etwas machen könnte, was typisch BMW wäre. Daraus ist die Baureihe entstanden, und wir haben uns beim Verkaufserfolg etwa um den Faktor zehn verschätzt, also was davon verkaufbar wäre und was tatsächlich verkauft wurde. Das ist einer der Gründe, warum ich sage, wir müssen unsere Stärken stärken. Solange wir typisch und authentisch BMW in unserem Produktportfolio sind, haben wir viel mehr Marktchancen, als reine Segmentableitungen und Volumentheorien uns das beschreiben. Die erste Generation R nineT war schon grandios. Und die neue R 12 nineT ist noch besser. Was wir zudem mit der R 12 jetzt machen, ist, das konsequent weiterzudenken, das Bike auch zugänglicher zu machen mit der Sitzhöhe usw. Und dass noch mehr kommt, auch fürs Gelände, davon kannst du ausgehen.

Viele wünschen sich eine mittlere GS, nachdem ihnen der 1300er nach oben abhaut und sie mit dem Reihentwin der F 900 fremdeln. Wird das von dir geschilderte Szenario diese Lücke schließen?

Du denkst da gar nicht so falsch (lacht).

Also doch eine mittlere GS – vielleicht sogar mit Kardan?

Wäre vorstellbar (lacht).

Damit hätten wir die Themen oben und in der Mitte schon besprochen. Reden wir mal über das Unten. 125er hat Dr. Schramm einmal kategorisch ausgeschlossen, wie kategorisch ist das noch?

Mit unserem lässigen CE 02 landen wir genau in dem 125er-Bereich, nur eben elektrisch. Und wir sind mit unseren 310er-Modellen sehr zufrieden, die verkaufen sich sehr gut. Auch die Qualität unseres Kooperationspartners TVS ist top, und es sind glaubwürdige BMW-Produkte. Natürlich schauen wir uns unser Portfolio regelmäßig an, und ob wir unter den 310ern oder darüber noch was bringen, ist aktuell in der Prüfung. Kategorisch ausschließen möchte ich aber gar nichts.

Gerade in den Klassen oberhalb der 310er ist sehr viel Bewegung im Markt.

Genau da sind wir dran. Mehr sage ich nicht (lacht).

Was die BMW-Fans bewegt, ist das Thema Qualität und Qualitätssicherung. Wir überprüfen das beispielsweise mit unseren Dauertests, hatten zuletzt von BMW die Doppel-R nach 50.000 Kilometern zerlegt. Zu Anfang der Baureihe 2010 gab es mit dem Motor große Probleme, jetzt ist es beim Stapellauf der GS zu Problemen gekommen – Stichwort Starterrelais oder auch Pleuel. Hat BMW ein Qualitätsproblem?

Ganz sicher nicht. Zuerst steht BMW für die allerhöchste mögliche Qualität, und das wird so bleiben. Wenn wir da Abweichungen haben, reagieren wir unverzüglich. Qualität und Innovation birgt aber einen Konflikt. Wenn ich immer das Gleiche mache, beim Produzieren, mit den Lieferanten, werde ich beim gleichen technischen Stand immer besser und effizienter. Dann habe ich auch keine Qualitätsprobleme. Wenn ich mich aber weiterentwickeln und Innovationen in den Produkten will, gehe ich Risiken ein. Dies auszubalancieren ist die große Kunst des Entwickelns. Damit ist BMW bei Pkw und auch Motorrad konfrontiert. Selbstverständlich sind wir nicht glücklich darüber, dass uns bei der Markteinführung einer neuen GS technische Aktionen einholen, für die wir den Kunden in die Werkstatt bitten und Teile austauschen müssen. Es spricht aber auch ein Stück weit für uns, weil wir im Motorradmarkt schon Benchmark sind in der Genauigkeit und Stringenz, mit der wir auf so etwas reagieren. Als wir die Pleuelverschraubungsthematik an der neuen GS identifiziert hatten, konnten wir das weltweit auf genau 52 Motorräder eingrenzen. Bei diesen 52 haben wir dann die Motoren gewechselt. Für die 52 Kunden ist das ärgerlich, auf der anderen Seite ist das eine Versicherung, dass man bei uns sowohl das innovativste Produkt bekommt als auch das qualitativ beste. Manchmal müssen wir ein zweites Mal hinlangen, aber das ist der Preis, den wir für höchste Innovation bezahlen. Wir hören aber natürlich nicht auf, das weiter zu optimieren, denn es ist neben der Kundenverärgerung für uns auch ein hoher Kostenfaktor.

Ist es auch der Druck, hochkomplexe Technologie im Konkurrenzkampf möglichst schnell in den Markt zu bringen? Geht man dafür große Risiken beim fertigen Produkt ein?

Nein, nicht wirklich. Neue Produkte werden nach Prozessen entwickelt, und da gibt es ziemlich strikte Vorgaben, wie ein Produkt konzeptioniert, konstruiert, industrialisiert und dann abgesichert und erprobt wird. Das hat einen jahrelangen Vorlauf, und den ändern wir auch nicht, nur weil wir gern ein halbes Jahr eher damit kommen wollen. So einfach darf man sich das nicht vorstellen. Wenn wir heute ein neues Motorrad beschließen, dann wissen wir, dass der genaue Punkt, an dem wir das Motorrad auf den Markt bringen werden, in x Jahren sein wird, weil die Absicherung bis dahin erledigt ist und das Fahrzeug funktioniert. Dass wir das Fahrzeug eher in den Markt bringen würden, weil einer sagt, die Konkurrenz kommt mit einem ähnlichen Produkt – das machen wir nicht. Das geht auch gar nicht, weil die ganze Industrialisierungsmaschinerie darauf ausgerichtet ist. Unsere Lieferanten, die ihre Werkzeuge dafür einrichten, ihre Fertigung abstimmen, die Logistikketten aufstellen müssen, brauchen auch einen Takt. Da kannst du mit der Markteinführung nicht spielen.

Der Laie stellt sich vor, dass ihr das in München bzw. Berlin am besten im Griff habt. BMW hat aber viele Übersee-Partner. TVS in Indien haben wir schon erwähnt, Loncin in China ist ein anderer. Wie intensiv ist in diesem Zusammenhang der Austausch zwischen dem BMW-Chef und diesen Partnern?

Zunächst einmal: Die Zeiten, in denen aus Asien und speziell aus China schlechte Qualität geliefert wurde, sind längst vorbei. Man findet in vielen unserer Produkte Komponenten aus aller Herren Länder und ganz viel aus Asien. Mit der Qualität speziell von Loncin und TVS sind wir sehr zufrieden. Da gibt es keinen qualitativen Unterschied, und das sind die Maßstäbe, die wir ansetzen. Was aus dem Werk rausdarf und was nicht, ist bei unseren Kooperationspartnern genau derselbe Anspruch wie bei uns in Berlin. Es gibt nur einen BMW-Standard – wo BMW draufsteht, ist auch BMW drin. Wir pflegen unsere Partnerschaften, und ich will nicht ausschließen, dass wir bei diesen Partnern noch weitere Produkte in Auftrag geben und mit den Partnern weiter wachsen werden.

Wer aufmerksam über die letzten Messen gegangen ist, auf denen BMW ja nicht war, dafür aber diese Partner, den beschlich durchaus das Gefühl, dass diese BMW außen herum überholen wollen. Bestes Beispiel war in Mailand vor zwei Jahren eine kleine GS unter dem Namen Voge F 900 DSX, hinter der Loncin steckt. Laut Insidern war BMW auch nicht gerade "amused" darüber. Wie vermittelt man das dem Partner?

Da ist ein falscher Eindruck entstanden. Ich habe schon gesagt, dass uns viele kopieren wollen, uns aber nicht erreichen. Das können und wollen wir auch nicht vermeiden. Wir möchten, dass unsere Partner wirtschaftlich erfolgreich sind …

Aber doch nicht auf eure Kosten?

Das war nicht auf unsere Kosten und hat uns auch nicht überrascht. Vielleicht wirkte das so, und durch unsere Abwesenheit auf der Messe hat sich dieser Eindruck noch verstärkt. Bei unserer Zusammenarbeit gibt es aber keine solchen Überraschungen. Dass dieses Fahrzeug kommen wird, war uns bekannt.

TVS hat in den letzten Monaten einen großen Schritt auf uns zu gemacht und gerade im Segment direkt oberhalb der in Indien hergestellten BMW 310er eigene Ambitionen im europäischen Markt signalisiert. Ist es vorstellbar, dass diese Modelle auch mit dem weißblauen Propeller kommen?

Nein. Aber wenn sich ein Partner weiterentwickelt und sich Segmente erschließt, kann man sich auch vorstellen, dass man diese Segmente in Kooperation aufmacht. Das ist nicht so, dass man sich dort gegenseitig blockiert. Wir sind in anderen Kundengruppen unterwegs, die Ausstattung unserer Fahrzeuge ist eine andere, wir fischen nicht im gleichen Teich. Es sind unterschiedliche Kundentypen, die sich für TVS oder für BMW Motorrad interessieren.

Kommen wir zum Thema Motorsport. Die Superbike-WM ist mit beachtlichem Fortschritt für BMW gestartet, BMW-Pilot Toprak Razgatlioglu hat für ordentlich positive Schlagzeilen gesorgt – schon in den Trainings. Im Sprintrennen gab es gleich einen Podestplatz, im zweiten Hauptrennen ist dann allerdings der Motor hochgegangen. Es gab auch mal die Losung, 2025 muss BMW die Superbike-WM holen. Haltet ihr daran fest?

Ich bin ein absoluter Verfechter von Motorsport. Als Leiter von BMW M habe ich damals die Zusammenführung der BMW M GmbH mit BMW Motorsport entschieden. Es ist für mich unumstritten, dass gut gemachter Motorsport einen echten Beitrag zur Markenstärke und Begeisterung innerhalb der Marken-Community leistet. Daher kannst du davon ausgehen, dass wir bei BMW Motorrad unser Motorsport-Engagement weiter stärken werden.

Auch auf WM-Niveau?

Auch da. Natürlich schauen wir uns genau an, wie sich die Superbike-WM weiterentwickelt als Format und ob das für uns das Richtige ist – von der Streckenauswahl, dem Kalender, dem Feld und der Technologie. Wir haben auch ein Augenmerk darauf, zu entscheiden, ob das das einzige Engagement bleibt, mit der Langstrecken-WM EWC und der IDM zusammen. Oder ob wir zusätzlich andere Formate wählen. Wir werden in Kürze auch auf der organisatorischen Seite bei uns im Motorsport Veränderungen vornehmen, um uns darauf vorzubereiten. Das wird noch keine Entscheidung für die eine oder andere Serie vorwegnehmen, aber dass die Superbike-WM nicht die einzige Option ist oder wir auch nach anderen Möglichkeiten Ausschau halten, davon darfst du ausgehen.

Ihr beherrscht die TT, trotz Honda-Sieg 2023 war die IDM zuletzt eine BMW-Dauersiegesserie, BSB, EWC, WSBK – das Einzige, wo BMW fehlt, ist MotoGP. Reden wir gerade über den GP-Einstieg?

BMW M ist seit Jahren Fahrzeugpartner der MotoGP. Als BMW M-Chef war ich bei sämtlichen Rennen, ich kenne die Verantwortlichen, und wir sind dort eine präsente Marke. Dass es für uns aber Sinn machen muss, ist klar, und deshalb schauen wir uns das genau an. Ausschließen würde ich es nicht.

Also steigt BMW im MotoGP ein!

Das hast du gesagt!

Und du hast es nicht ausgeschlossen! Was wären andere Sportformate sonst? Ducati und Triumph steigen im Motocross ein, ihr etwa auch?

Es gibt noch andere Formate im Offroad-Bereich, für die wir sogar schon mal gestanden sind.

Dann reden wir über die Rallye Dakar?

Ich möchte wie gesagt nichts ausschließen. Fakt ist, dass Motorsport für uns wichtig ist und wir uns anschauen, was außer WSBK noch sinnvoll wäre.

Vielen Dank für dieses erste große Interview und die interessanten Einblicke in die Ära Flasch bei BMW Motorrad.

Zur Person: Markus Flasch

Markus Flasch, Jahrgang 1981, folgte im November 2023 auf Markus Schramm als BMW Motorrad-Chef. Der Österreicher legte nach dem Fahrzeugtechnikstudium einen steilen Karrierestart beim Engineering-Dienstleister Magna hin, wo er zuletzt als Vorstand Operations & Quality Europe tätig war. 2015 stieg er als Qualitätsverantwortlicher für die Oberklasse und Rolls-Royce bei BMW ein, wurde dann Baureihenleiter der Achter-Reihe und 2018 Leiter der BMW M GmbH. Zuletzt war Flasch verantwortlich für die Entwicklung und Konzeption aller Fahrzeuge der Marke BMW in der Mittel- und Oberklasse sowie der Marke Rolls-Royce.